Untere Rückenschmerzen (Lumbago-Ischias-Syndrom)
Anamnese
Es ist wichtig zu wissen, ob die Schmerzen plötzlich (evtl. in Verbindung mit einem Trauma) oder langsam eingesetzt haben, wohin die Schmerzen ausstrahlen, ob motorische oder sensible Störungen vorliegen (genaue Lokalisation und Verteilung). Frage an den Patienten, ob er normal gehen und stehen sowie Treppen steigen kann, und ob irgendwo ein taubes Gefühl besteht. (Achtung!: Im umgangssprachlichen Gebrauch kann sich der Begriff 'Lähmung' sowohl auf eine muskuläre Störung wie auf ein Taubheitsgefühl ('es fühlt sich alles lahm an') beziehen. Entscheidend ist, ob Darm und Blase (Kontinenz) regulär funktionieren. (Frage, klappt das Wasserlassen normal, 'wie gewohnt'?) Bei Schmerzen ist von Bedeutung, ob sie durch Bewegung schlimmer werden und in Ruhe abnehmen, und ob es auslösende Faktoren gibt (schweres Heben, Husten, Niesen, Pressen)?
Beachte: Akute Kompression der Cauda equina ist ein neurochirurgischer Notfall. Es kommt zu oft erstaunlich geringfügigen beidseitigen Ischialgien, doppelseitiger Reithosenhyp- bis anästhesie, schlaffen Lähmungen an den unteren Extremitäten. Alle diese Symptome sind sehr variabel, u.U. gar nicht vorhanden, entscheidendes Symptom sind Blasen- und Mastdarmfunktionsstörungen im Sinne einer neurogenen Blasenentleerungsstörung mit Restharnbildung!
Untersuchung
Die körperliche Untersuchung bei Wirbelsäulenbeschwerden der LWS sollte besonders folgende Fragen berücksichtigen:
* Motorische Defizite, Reflexdifferenzen, Muskelatrophien?
* Zeichen für Schädigung der langen Bahnen? (Spastik, pathologische Reflexe, besonders Babinski?)
* Radikuläre oder periphere sensible Defizite?
* Perianale Sensibilität überprüfen (Hypalgesie der 'Reithose' (S2-S5) bei Conus-Cauda-Syndrom!).
* WS klopf- oder druckschmerzhaft? Ausgleichsskoliose? Paravertebrale Muskelverspannungen?
* Funktionsprüfung der WS, z. B. durch Messen des Finger-Boden-Abstandes (FBA). Lasegue-Zeichen?
* Anzeichen einer Allgemeinerkrankung (z. B. Karzinom)?
* Evtl. urologische, gynäkologische Untersuchung
Ischialgie ('radikuläre Schmerzen'): In das entsprechende Dermatom ausstrahlende, u.U. einschießende Schmerzen, die durch Preßmechanismen sowie Bücken und Beugen zunehmen.
Lasegue-Zeichen: Schmerz, der durch Dehnung der Nervenwurzeln L5 und S1 ausgelöst wird. Das Zeichen ist positiv, wenn am Patienten in Rückenlage durch Beugung des gestreckten Beines in der Hüfte Schmerzen im Verlauf des Ischiasnerven ausgelöst werden. Ein 'früh positiver Lasegue' ( = kleiner Winkel zwischen Unterlage und gestrecktem Bein) ist Hinweis auf mechanische Kompression der Wurzeln des Ischiasnerven z.B. durch Diskusprolaps. (Umgekehrter Lasegue: Patient liegt auf dem Bauch, Retroflexion des gestreckten Beines führt zu Schmerz und reflektorischer Muskelanspannung bei Kompression im Bereich L2 bis L4).
Radikuläre Syndrome (Vollbilder)
L4: Quadricepsparese (Pat. kann nicht auf Stuhl oder Treppen steigen), PSR-Abschwächung, Hypalgesie von der Vorderseite des Oberschenkels über die Kniescheibe (!) auf die Medialseite des Unterschenkels bis zum medialen Fußgewölbe reichend (DD zu Hüftgelenksaffektionen: Das Beschwerdebild kann gleich sein, die Sensibilitätsstörung reicht nie über die Kniescheibe bis auf den Unterschenkel!). Vorkommen bei Bandscheibenprolaps L3/4.
L5: Fußheberparese (“Schlappfuß”, Pat. kann nicht auf den Hacken stehen). Keine eindeutige Reflexzuordnung (Tibialis posterior-Reflex nur bei eindeutiger Seitendifferenz verwertbar). Hypalgesie an der Vorderkante des Schienbeins über den Fußrücken zur Großzehe (!) ziehend. Vorkommen bei Bandscheibenprolaps L4/5.
S1: Fußsenkerparese (Pat. kann nicht auf den Zehenspitzen stehen), ASR-Abschwächung. Hypalgesie im Generalsstreifen, d.h. schmaler Streifen entlang der Außenseite der Wade zum Außenknöchel und am Fußaußenrand zur Kleinzehe (!). Vorkommen bei Bandscheibenprolaps L5/S1.
Diagnostik
* Anamnese
* Körperlicher Untersuchungsbefund
* Labor: Blutbild, BSG, Retentionswerte und Elektrolyte, alkalische Phosphatase.
* Röntgen: LWS-Übersicht in 2 Ebenen, bei Anomalien ggfs. BWS-, Ziel- und Schichtaufnahmen
* Die Wirbelsäulendiagnostik ist heutzutage eine Domäne der Kernspintomographie , mit der sich in der Regel alle wesentlichen Fragen beantworten lassen.
* Spezialuntersuchungen: LWS-CT, vor allem, wenn Höhenlokalisation möglich ist. Ergänzend hierzu Myelographie, die bei suffizientem CT heute nicht mehr obligat ist, aber zusätzliche Funktionsuntersuchungen und kontrastgestütze Computertomogramme ermöglicht (im Zusammenhang mit Myelographie Liquor entnehmen - 'Sperrliquor'? Eiweiß- oder Zellzahlauffälligkeiten?). EMG (bei frischer neurogener Schädigung relativ unergiebig).
Ursachen für lumbale Wurzelkompressionssyndrome
* <15 LJ: Mißbildungen (Spina bifida occulta, Tethered Cord-Syndrom) und Tumoren (Lipome, Teratome), gelegentlich auch Bandscheibenvorfälle, Spondylolisthesis und Skoliosen.
* 15-30 LJ.: Bandscheibenvorfälle, Wirbel-Frakturen, Spondylitis ankylopoetica (M.Bechterew, vor allem Männer betroffen (90%), chron. entzündliche, zur Versteifung führende Erkrankung des rheumat. Formenkreises. Klinisch besonders 'tiefe Rückenschmerzen und morgendliche Steifigkeit, radiologische Diagnose durch Nachweis entzündlicher Veränderungen der Ileosakralgelenke (!), 'Bambusstab'-artige Verknöcherungen der WS, in 90% HLA-B27 positiv), Spondylolisthesis, Schwangerschaft, spinale Tumoren.
* 30-50 LJ.: Bandscheibenvorfall, degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen, Malignome (Lunge, Mamma, Prostata, Schilddrüse) und benigne raumfordernde Prozesse (Ependymome, Neurinome).
* >50J.: Lumbalstenose (Claudicatio spinalis, durch Wurzelkompression bedingte Verkürzung der Gehstrecke) und andere degenerative WS-Veränderungen (Spondylophyten etc.), Bandscheibenvorfälle, degenerative Gelenkerkrankungen, Osteoporose (Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper), M.Paget, Malignome (Metastasen vieler Carcinome, besonders Mamma und Prostata, aber auch Bronchial etc.), Spondylolisthesis und nicht zu vergessen benigne raumfordernde Prozesse des Spinalkanals (Meningeome, Neurinome) .
Therapie
Bandscheibenvorfälle ohne wesentliche neurologische Ausfälle werden konservativ behandelt: In der akuten Schmerzphase Bettruhe und Antirheumatica (besser als reine Analgetica, z.B. Diclophenac bis zu 4x100mg/d, ggfs. als Zäpfchen., läßt sich gut mit Diazepam (z.B. 5-5-10mg) kombinieren hinsichtlich dessen sedierender und muskelrelaxierender Wirkung). Zusätzlich Wärmeanwendungen (u.U. reicht heißes Duschen!) sowie frühzeitig (sobald es der Schmerz zuläßt) physikalische Therapie in Form von Krankengymnastik und Muskeltraining. Längerfristig Rückenschule zur Vermeidung auslösender Faktoren wie z.B. falsches Lastenheben aus gebückter Stellung. Bei Therapieresistenz und radiologisch nachgewiesenem Prolaps längerfristig relative Operationsindikation.
Bei akuten motorischen Ausfällen insbesondere mehrerer Wurzeln (Hochgradige Fußheber- und leichte -senkerparese) infolge nachgewiesenen Prolapses dringliche Op.-Indikation.
Notfall-Indikation: Medialer Massenprolaps mit Blasenfunktionsstörungen, akute Conus- oder Caudakompression mit progredienter Symptomatik bei Traumen oder Tumoren.
Spezifische Ursachen verlangen entsprechende Therapie, so lassen sich vor allem auch die oft erheblichen Beschwerden der meist älteren Patienten mit spinalen Stenosen häufig durch dekompressive Eingriffe in hohem Maße lindern.
Die Wahl des speziellen operativen Verfahrens bei Bandscheibenvorfällen der LWS unterliegt dem Kenntnisstand und der Ausrüstung der operierenden Klinik, neben der herkömmlichen, in der Regel mikrochirurgischen offenen Bandscheibenoperation kommen heute verschiedene perkutane Techniken (Chemonukleolyse, Absaugverfahren, Laserdiskektomie) in Betracht. Diese unterliegen jedoch z. T. spezifischen Indikationsstellungen.
|